Woodlake Sequoia Nationalpark Lake Kaweah Three Rivers

Lake Kaweah, Kalifornien

Lake Kaweah bei der Vorbeifahrt vom Highway 198 aus.

Wie so oft war der Anlass für eines unserer zeitraubendsten Abenteuer des Urlaubs das alltägliche Bedürfnis nach Nahrung. Der Hunger war umso größer, als wir den ganzen Tag damit verbracht hatten, uns unberührte Natur anzuschauen und an der frischen Luft waren. Doch wohin sollte man in diesem riesigen Naturpark fahren um etwas Warmes zu Essen zu bekommen? Es gab nur eine einzige Straße, und die eine Hälfte vom Westeingang bis zu unserer Lodge kannten wir bereits - da gab es überhaupt nichts. Gut, Wilsonia wäre dort gewesen, aber das kannten wir noch nicht. Was lag also näher, der Straße weiter in die andere Richtung - nach Süden - zu folgen. Vielleicht hätten wir dort mehr Glück, und auf der Karte waren ja auch ein paar Orte eingezeichnet. Three Rivers, da gab's sogar ein Hotel, das in den großen Reisekatalogen abgebildet war. Hier sollte es bestimmt ein Restaurant geben. Mit diesem beruhigenden Hintergedanken setzten wir uns um 18:20 nach der Besichtigung vom General Sherman ins Auto und begannen den kleinen Abstecher über den Generals Highway. Dieser führte uns durch Potwisha und Three Rivers zum Lake Kaweah bis nach Lemoncove. Als wir bis dorthin immer noch kein Restaurant erspäht hatten verließen wir den Highway 198 und fuhren noch einen Ort weiter: Woodlake.

Was muss man über Woodlake wissen? Als Tourist hat man diesen Ortsnamen noch nie gehört, und auch unter den erfahrenen USA-Reisenden löst dieser Name üblicherweise Schulterzucken aus - und das zu Recht. Nichts, aber auch rein gar nichts ist an Woodlake interessant, das einen Stopp oder gar Aufenthalt lohnen würde. Was also hat mich dazu bewogen, dennoch einen Bericht darüber zu verfassen? Vielleicht war es der Umstand, dass ich in Woodlake eine halbe Stunde verbracht habe und mir die Erlebnisse, die ich währenddessen gemacht habe, erwähnenswert erscheinen weil sie einer der wenigen Momente des von allzu Bekanntem geprägten Urlaubs waren, in denen ich mit der einheimischen Bevölkerung in Kontakt kam, welche Touristen nur vom Hörensagen her kennen? Oder war es der Umstand, dass Woodlake mich zum Verfassen solch elend langer Sätze nötigte? Vielleicht aber auch, weil der Ortsname zwar auf einen nahegelegenen See hindeutet, dieser aber keineswegs Woodlake heißt sondern Bravo Lake und das auch schon das größte Geheimnis dieses Ortes ist?

Wie auch immer, um 20:30 erreichten wir Woodlake, schwer gezeichnet von der bislang erfolglosen Nahrungssuche. Der Ort war bis auf die große Straßenkreuzung, an der sich der Highway 216 aus dem Sequoia Nationalpark kommend und der Highway 245, der nach Norden wieder hineinführte, querten, völlig in Dunkelheit versunken. Der Ort hatte gerade ein großes Fest erlebt. Überall waren Banner über die Straßen gespannt, die auf das zwei Tage zuvor veranstaltete Country-Rodeo-Ortsfest (das Woodlake Lions Rodeo, das immerhin schon auf eine 50jährige Geschichte zurückblicken kann) hinwiesen. Wie ausgestorben waren die beiden Highways, und auch die paar Nebenstraßen machten den Eindruck, als würde hier seit der Goldgräberära niemand mehr wohnen. So gespenstisch einsam dieser Ort wirkte - irgendwo musste es doch gerade wegen der Abgeschiedenheit etwas Essbares geben. Wir fuhren an der Kreuzung rechts herum, und schon am nächsten Block erreichten wir die Postoffice samt Einkaufszentrum des Dorfs, dessen völlig überdimensionierte Parkplatz mit hohen Scheinwerfern immerhin etwas heller erleuchtet war als der schummrige Rest von Woodlake. Wir parkten in erster Reihe und sahen uns schon im Supermarkt Sandwiches kaufen. Doch dazu kam es nicht, denn gleich nebenan gab es eine Filiale der Pizza Factory - in Woodlake, jawohl. Also nichts wie rein in die gute Stube.

Wenn ein Ort schon Woodlake heißt, dann muss auch ein Restaurant entsprechend aussehen, dachten sich wohl die gewieften Manager der Pizzakette. Der Boden bestand folglich aus Holzplanken, die Einrichtung aus Holztischen mit schmucken und schützenden Wachsdecken, und klapprige Bierbänke rundeten den urigen Eindruck dieses seltsamen Schnellrestaurants ab. Von den vielleicht 20 Tischen waren zwei besetzt, dafür bestand das Personal hinter der Theke aus drei Personen. Serviceland Amerika mag man meinen. An der Decke flimmerte Baseball, das die wenigen Gäste auch intensiv verfolgten. So intensiv, dass sie sich durch nichts, aber auch gar nichts ablenken ließen.

Pizza Factory, Woodlake, Kalifornien

Pulitzer-verdächtig: der Slogan von Pizza Factory.

Pizza Factory, Woodlake, Kalifornien

Die Pizza zieht Fäden - aber schmeckt.

Wir hatten uns am Fenster niedergelassen um unser Auto im Blick zu behalten. So konnte ich auch die ganze Pizza Factory beobachten. Wir bestellten Pizza, was sonst. Als die Cola geliefert wurde sprang mir sofort der fein gereimte Werbespruch ins Auge, der in großen Lettern auf dem Pappbecher prangte: "We toss'em, They're awesome!". Das ließ Schlimmes befürchten für die Pizza. In Wien hatte ich mal einen richtigen Pizzabäcker bei der Arbeit gesehen, der den Teig meterhoch in die Luft warf und herumwirbelte. Und das konnte ich mir in einem Laden namens "Factory" nicht wirklich vorstellen. So kam es dann, dass wir eine etwas teiglastige, aber immerhin frische Pizza serviert bekamen, die gar nicht mal sooo übel schmeckte. Gut, der Käse zog ungelogen einen halben Meter lange Fäden, aber der innere Teil der Pizza war immerhin sehr lecker. Was weniger lecker war und mir den Appetit ein wenig vermieste war die Dorfjugend, die nun das Lokal betrat. Eine Handvoll Halbwüchsiger - vornehmlich mexikanischer Abstammung - tobte sich nun im fast leeren Lokal aus. Vorbei war's mit der Ruhe. Trotz der mitunter sehr auffallenden Fettleibigkeit schafften es die Kids, ohne Unterlass zwischen den Tischen herumzulaufen und finstere Minen zum störenden Spiel aufzuziehen. Das Vokabular, was ich so zwischen den Bissen aufschnappte, kann ich hier gar nicht niederschreiben. Das böse F-Wort war noch das harmloseste. Den älteren Herren am Nebentisch störte das indes gar nicht, der kaute ohne jegliche Regung an seiner Pizza herum und verfolgte ansonsten gelangweilt das Baseballspiel. Ich fühlte mich nicht ganz wohl in diesem Schuppen. Vielleicht waren die preiswerten Sitzmöbel ja nur deshalb hier, weil die Dorfjugend auch schon Mal was zu Bruch gehen ließ. So abwegig fand ich diesen Gedankenblitz nicht, und ich beschloss, auf weitere Fotos zu verzichten und schnell fertig zu essen. Meinen Freunden ging es offenbar ähnlich, und so saßen wir schon um 21 Uhr wieder in unserem Auto.

Immerhin waren wir satt geworden und konnten nun in Ruhe zurück in unsere Lodge fahren. Was haben wir daraus gelernt? Woodlake bleibt besser ein unbesuchter Ort, und wer im Sequoia Hunger bekommt unternimmt besser keine große Rundreise sondern verzichtet lieber mal einen Abend auf was Warmes.

Der Hinweg, den wir nach Woodlake gefahren waren, erschien uns aufgrund der vielen Kurven als nicht geeignet für die Rückreise, also wählten wir den auf meiner Landkarte kurvenloseren und zudem kürzeren Weg über eben jenen Highway 245, der unseren Ausflug zu einer Rundreise machen sollte. Nach Norden verließen wir Woodlake. War es dort schon relativ schlecht beleuchtet - hier war es nun stockfinster. Wie schön dass ich mein GPS dabei hatte. So konnten wir uns wenigstens nicht verfahren. Doch was war das? Eine Umleitung, mitten im Niemandsland kurz hinter Elderwood, na prima. Bereitwillig folgten wir den Wegweisern, um nach 10 Minuten auf einem Feldweg zu landen. Hier konnte was nicht stimmen, also zurück zum Anfang der Umleitung. Irgendwo mussten wir ein Schild übersehen haben. Da wir eh alleine in diesem Landesteil unterwegs waren schalteten wir nun das Fernlicht ein und fanden so schließlich den leicht angerosteten Hinweis, den wir übersehen hatten. Was jetzt folgte glaubt einem niemand. Die Straße sah auf der Karte so wunderbar gerade aus - war ja auch ein Highway. Doch entweder war der Straßenbaumeister völlig besoffen, hat die Straße auf einem zerknüllten Blatt Papier geplant oder es gibt entlang der Strecke tausende Winzparzellen, die man alle umfahren muss. Wie auch immer, wir wollten die kurvenreiche Strecke vom Sequoia hinunter nach Three Rivers vermeiden und hatten eine noch sehr viel schlimmere gefunden. Keinen Meter ging es geradeaus, und das bei völliger Dunkelheit mitten in der Pampas. Schnell fahren ging nicht, und der Katzensprung auf der Landkarte zog sich elend hin. Sämtliche Colareserven wurden an den Fahrer abgetreten, der diese bereitwillig in Kurvenlenkungen umsetzte. Um 23 Uhr erreichten wir kurz hinter Pinehurst endlich wieder den Highway 198 und schworen uns, diese Strecke niemals wieder zu fahren.

Doch der Tag war noch nicht vorüber. Man mag es Vorsehung nennen, oder Zufall. Kurz hinter dem Little Baldy, einem 2.452 m hohen Hügel zwischen Dorst Creek und Wuksachi Village, fand der Tag einen versöhnlichen Höhepunkt. Im Scheinwerferlicht tauchten plötzlich links neben der Straße zwei dunkelbraune Fellknäuel auf, wir bremsten. Tatsächlich, zwei Schwarzbären kreuzten vor unseren Augen in aller Ruhe den Highway. Vorneweg die riesige Mutter und hinterher ein winziges Bärenkind. Wir warteten, bis beide im Wald rechts der Straße verschwunden waren und fuhren dann weiter. Die Müdigkeit war wie weggeflogen. So sahen sie also aus, die nächtlichen Besucher unserer Lodge, die an den Mülleimern so verräterische Spuren im Schnee hinterließen. Den Weg vom Auto bis in unser Appartement legten wir an diesem Abend recht zügig zurück.

(c) Stefan Kremer - Alle Rechte vorbehalten


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